Eine militärgeschichtlich/taktische Aufbereitung des Reitergefechts zwischen der 4. k. u. k. Kavallerie Division und der 10. russischen Kavallerie Division am 21. August 1914
(Web-Version)
Google Earth; Breite: 49°45'47.53"N, Länge: 25° 9'8.18"E
„Die letzte Reiterschlacht der Weltgeschichte“ (1929) der Autoren Max von Hoen und Egon Freiherr von Waldstätten ist ein heute wohl sehr selten gelesenes Buch über das erste sowie wesentlichste Kavallerie-Gefecht des Ersten Weltkriegs an der Ostfront am 21. August 1914, im galizischen Grenzgebiet zu Russland westlich der heutigen ukrainischen Kleinstadt OLIYEV (Distrikt TARNOPOL/ TERNOPIL).
Beide Autoren, Feldmarschallleutnant Maximilian von Hoen sowie Egon von Waldstätten hatten zu ihrer Zeit ganz offensichtlich einen ausgezeichneten Zugang zu militärhistorischen Detail-Quellen, Aussagen und Karteneinzeichnungen. Hoen war Direktor (1918 – 1925) und Waldstätten Hofrat (1918 – 1924) des österreichischen Kriegsarchivs.
Der Ausgang dieses 1. Kavallerie-Gefechts des 1. Weltkriegs war für die k.u.k. Kavallerie unglücklich und hat gleich zu Kriegsbeginn eine Art "Paranoia" für diese Waffengattung ausgelöst. Auch in den Jahren nach dem Weltkrieg diskutierte man, teilweise noch sehr emotionell, die Ereignisse dieses Gefechts, in einem breiten Bogen, von der Perzeption "vom gefundenen Zeitpunkt bezüglich der Obsolet-Erklärung der Kavallerie als Waffengattung" bis eben hin zum "gefundenen Zeitpunkt der letzten Reiterschlacht der Weltgeschichte“. Zeitungsartikel und Fachbeiträge sprechen in den 192oer Jahren von der "letzten großen Attacke alten Stils", vom abrupten Wandel der Kavallerie als "Hauptwaffe" zur "Hilfswaffe" und beschäftigen sich mit Erklärungen, Darstellungen und Gegendarstellungen.
Aus diesem wogenden Feld der Argumente heraus und wohl auch zur therapeutischen Aufarbeitung der Missgeschicke von Jaroslawice wählte man offenbar den überzogenen und wohl als "Nachruf" gedachten Buchtitel ("letzte"... "Reiterschlacht"... "Weltgeschichte"...).
Im Jahre der Bucherscheinung 1929 wurden die beiden Autoren wegen ihres sachlichen Stiles und ihrer Objektivität in der österreichischen Presse gelobt. Nach heutigem Empfinden hingegen wirkt die belletristische und heroisierende Schreibweise der Autoren überbordend und überlagert die zahlreich genannten Fakten in einem relativ komplizierten Text. Die beigelegten Skizzen sind wohl absolut maßstabsgetreu zu historischen Karten, fassen aber mehrere Gefechtsphasen zusammen und sind nicht nach der Karte (nach Norden) ausgerichtet und daher auch sehr schwer verständlich.
Zur Aufschlüsselung der zahlreichen Schilderungen über den Gefechtsablauf und der Übertragung der Skizzen und Aussagen ins Gelände muss man daher mit Buch, Skizze und Karte das Gelände „ergehen“, um den Gefechtsablauf tatsächlich verstehen zu können. Denn selbst, wenn ein um Objektivität bemühter Historiker fast ausschließlich nur auf die Quellen dieses einen Buches angewiesen ist, steht dem Taktiker nach wie vor das bis heute unveränderte und untrügliche Gelände zur Analyse bereit. Die Kombination beider Perspektiven erlaubt es, diese Episode der Militärgeschichte aufzunehmen und zu erfassen. Eine taktische Analyse mittels eines Gelände-Kraft-Raum-Zeit-Kalküls ist nämlich, wie sonst nichts, unbiegsam objektiv. Die dabei zutage-kommende Logik mag wohl härter ausfallen als jene ausschmückenden Worte epischer Schilderungen damaliger Zeitzeugen oder Autoren. Man muss also in die Rolle eines Kavallerieführers schlüpfen können.... Dies ermöglicht das Erkennen von schöngefärbten Fakten, vor allem durch eine Spiegelung der Geschehnisse in das heute noch gänzlich unveränderte Gelände.
Taktik im militärischen Sinn ist die koordinierte Anwendung von militärischen Mitteln nach Kraft, Raum und Zeit zum Zweck des Gefechts. Das heutige Wissen um die Grundsätze der Taktik und des taktischen Führungsverfahren ist ein Ergebnis der Geschichte. Dadurch ist es angebracht, auch im umgekehrten Sinne zu verfahren, nämlich Historisches mit den heutigen taktischen Kenntnissen nachzuvollziehen. Diese haben sich auch kaum verändert, sind aber von Technik, Gesellschaft und Bildung anders geprägt. Vor allem was die Faktoren Raum, Zeit, Waffenwirkung (Feuer und Bewegung) und Information betrifft, gibt es heute extrem beschleunigte und effektive Parameter. In Wahrheit ist aber darüber hinaus die Anwendung der Grundsätze gleichgeblieben. Der Forscher muss in Bezug auf ein historisches Gefecht „taktisch interpolieren“, d.h. den Kontrast/Kontext zwischen einer taktischen Optimal-Lösung und den historischen Entschlüssen und Geschehnissen herstellen, um das eigentlich Historische besser nachzuvollziehen und verstehen zu können. Letzteres natürlich mit allen faktisch gemachten Fehlern. Die Methode einer Lagebeurteilung ist damit ein Mittel einer militärhistorischen Analyse.
Zugegeben, es bleibt noch immer eine taktische Analyse, mit großem zeitlichem Abstand zu den Geschehnissen, welche vor allem kleinere, aber oft entscheidende Beeinflussungen nicht in ihrer Auswirkung auf den Kampfverlauf vollends bewerten kann. Allerdings ist es auch kürzlich gelungen, eine historische Einschätzung des Gefechts von Jaroslawice in einem Kriegstagebuch eines Offiziers des Dragoner Regiments 5 zu finden, welche wohl als zeit-naheste gelten kann, nämlich nur 4 Tage danach. Sie wird am Ende dieses Essays unter "Resümee" angeführt. Ihre "Unmittelbarkeit" spricht sehr dafür, die eigentliche Wahrheit über "Jaroslawice" zu treffen...
Galerie unten (zwecks Vergrößerung anklicken, es empfiehlt sich, die Artikel als Einstieg in die Materie und sowohl am Ende dieses Essays nochmals zu lesen, insbesondere die Rechtfertigung GM Zarembas):
1 + 2: Buchbeschreibung, "Neues Wiener Journal", 26-05-1929 unter dem Titel "Reiterdämmerung".
3. Buchbeschreibung, "Österr. Illustrierte Zeitung", 30-06-1929.
4 - 7: Diskussion/Beitrag über Jaroslawice, vor der Bucherscheinung, Artikel "Österr. Wehrzeitung", 26-09-1924, von Lauer-Schmittenfels sowie Fortsetzung des Artikels, "Österr. Wehrzeitung", 10-10-1924.
8 - 10: Artikel "Österr. Wehrzeitung", 31-10-1924, Entgegnung zu den obigen Beiträgen durch GM i. R. Zaremba.
Galerie oben:
Jaroslawice und Wołczkowce zu finden, ist sogar mit den modernen Mitteln wie Google Earth nicht einfach. Die kleinen Orte heißen heute Yaroslavychi und Vovchkivtsi und sind am leichtesten zu finden, wenn man sie nördlich von Sboriw (Zborow) sucht. Ohne Karte bzw. Geländebeurteilung ist keine taktische Analyse möglich. Dazu halfen der Blick in die historischen Karten als auch die heute leicht erhältlichen Luftaufnahmen per Google Earth, vor allem in der Vorbereitung der Reise in das ehemalige Kampfgelände, in das heute noch verschlafene Gebiet an den Quellen des Flusses Strypa.
Gerade eine Analyse der ersten Gefechte des 1. Weltkriegs verspricht eine Bestandsaufnahme über den Kampfwert und die Kampfkraft der Kavallerie (und anderer Truppen) der österreichisch-ungarischen Monarchie. Zu diesem Zeitpunkt kam der lang-trainierte Kader, kamen die Berufssoldaten, die „geschmiedeten“ und vorbereiteten Waffengattungen dieser Zeit zum Einsatz. In den Folgejahren des Krieges waren aufgrund der enormen Ausfälle nur mehr die massenrekrutierten unvorbereiteten Reserven das Maß des militärischen Standards. Sicher auch ein Grund, wieso dieser Krieg zu einem einfacher führbaren, statischen Stellungskampf führen musste, welcher jahrelang keine Entscheidung herbeiführen konnte und endlich in einer logistischen und politischen Erschöpfung sein Ergebnis fand.
„Von wenigen Ausnahmen abgesehen sind unsere braven Kavalleriedivisionen gleich bei Beginn der Operationen durch ihre unfähigen Führer zugrunde gerichtet worden“. Dieses retroperspektive Urteil des ehemaligen österreichischen Generalstabschefs Conrad von Hötzendorf ("Aus meiner Dienstzeit, Bd. IV, Seite 877") gibt der operativen Führung die Schuld, versagt zu haben, nicht der Waffengattung der Kavallerie als solches. Dabei spricht er offenkundig die Führungsebene „ab Division aufwärts“ an, also nicht die untergeordnete Führung der Eskadronen oder Regimenter.
Also stellt sich die Frage: „Was waren die Führungsfehler, was wurde falsch gemacht und wieso?“
General Auffenberg von Komarow ("Österreichs Höhe und Niedergang"), Kommandant der 4. k. u. k. Armee, in seinen Memoiren im Jahre 1921:
„Am 2. August gelangte vom Armeeoberkommando die erste große Emanation zur Ausgabe: die Bestimmung für die Fernaufklärung größten Stils. Die drei Armeen — 1., 3. und 4. — sowie die beiden Armeegruppen — Köveß rechts, Kummer links — hatten sämtliche Kavalleriedivisionen bis an die großen feindlichen Infanteriekörper vorzutreiben. Beginn am 15. August. Dieses weite Vorwerfen der Kavalleriemassen löste bei mir wie bei so vielen anderen Bedenken aus. Meiner und unserer Ansicht nach war damit ein kolossaler Kräfteverbrauch der Kavallerie verbunden, die Aussicht auf Erfolg aber nur eine spärliche. Dabei bedingte die topographische Beschaffenheit vieler Räume ganz unerläßlich, daß diesen Kavalleriekörpern entsprechende Infanteriekräfte beigegeben würden“... „Ab dem 4. August waren die Kavallerieregimenter in die Sicherung der Reichsgrenze eingebaut worden und so gut wie ständig alarmiert.“ … „Als es dann zu den ersten Gefechten kam, waren die österreichischen Pferde abhetzt und die Reiter übermüdet.
Demgemäß musste die österreichische Kavallerie versuchen, den feindlichen Vormarsch zu erkennen und sich diesem stellen. Ein "Stellen" funktioniert aber nur als „geschlossene“ Kraft, welche jedoch zum Zeitpunkt bar jeglicher wesentlichen infanteristischen Unterstützung war.
War also dieser Auftrag überhaupt für die Kavallerie erfüllbar?
Das „Suchen nach dem Feind“ (i.e. nach dem Ansatz dessen Hauptkräfte) und das dabei durch den strategischen Auftrag erzwungene Zusammenhalten der Kräfte für einen „zeit-gewinnenden“ Kampf musste also die österreichische Kavallerie verschleißen.
Die Russen hingegen brauchten den Österreicher nur „die Zeit nehmen“ und das taten sie, indem sie mit tief eingedrungenen einzelnen Kavallerie-Zügen Panik und Schrecken hervorriefen und die Österreicher hin- und herhetzen ließen.
Daher dachte man auch nicht einmal an einen abgesessenen Kampf in einer temporären Widerstandslinie, um den Mangel an infanteristischer Feuerkraft wettzumachen, denn dazu war der zu überwachender Raum wiederum zu groß und ein Ausflanken zu wahrscheinlich. Überdies: „gegen das Feuergefecht zu Fuß im großen Stil gab's in praxi eine Aversion, so eine Art passiven Widerstand, den erst der Krieg beseitigen musste und auch sehr rasch beseitigte (Auffenberg)".